Osteopathie...

…ist ein ganzheitliches Behandlungssystem.

Schon Hippokrates stellte im 5. Jahrhundert fest: „Viele Erkrankungen gehen von der Wirbelsäule aus“

Nichtmediziner, im Volksmund auch Knochensetzer oder Knochenrenker genannt, waren schon immer in der Lage, mit gezielten Handgriffen Knochen „einzurenken“.

1874 gründete der nordamerikanische Arzt, Dr. A.T. Still in Kirksville im Staat Missouri (USA) eine Schule für Osteopathie. Erstmals wurde dort die Kunst des Heilens durch Handgriffe zu einer lehrbaren Wissenschaft ausgebaut.1 Er entwickelte ein manualmedizinisches Konzept und begründet die osteopathische Philosophie :

„Der Organismus ist eine funktionierende Einheit, die Einheit ist nur im Kontext aller Teilfunktionen möglich; Fehlfunktionen einzelner Teile führen zu Störung des Gesamtorganismus“ Dr. A.T. Still

Die Bezeichnung „Osteopathie“ („Osteos“ verwendet Still für die „Therapie über die Knochen“ in Verbindung mit „Pathos“, dem Leiden der Krankheit) entstammt ihren Anfängen, die sich zunächst auf die chiropraktische Behandlung der „Knochen“ zentrierte. Dr. Still stellte fest, dass viele Krankheiten des Körpers und seiner Organe mit Veränderungen von Knochen und Gelenkfunktionen einhergehen und behandelte diese Strukturen mit Mobilisation, Manipulation aber auch weichen Techniken.

Auch die heutige Manuelle Medizin und Chirotherapie leitet sich ursprünglich hiervon ab – mit dem großen Unterschied, dass ausschließlich die lokale Fehlstellung des Gelenkes aktiv korrigierend – unberücksichtigt des Organzusammenhanges – behandelt wird. (Um 1950 ließen sich auf einem in Deutschland stattfindenden Kongress Ärzte hiervon inspirieren und gründeten entsprechende Gesellschaften, wie die DGMM, FAC sowie später die DGOMT der Physiotherapeuten.)

In Amerika (akademisch) und später auch in Europa (nichtakademisch), entwickelte sich die Osteopathie entsprechend Still´s ganzheitlichem philosophischen Gedanken allerdings weiter, denn aus osteopathischer Sicht ist ein „verrenkter“ Wirbel meist weit mehr als ein Gelenk, das einfach nur wieder „eingerichtet“ werden muss.

Die Grundlage für die osteopathische Therapie (wörtl: Heilbehandlung) bilden möglichst differenzierte Kenntnisse der medizinischen Basiswissenschaften, insbesondere der Anatomie und Physiologie, um den gesunden Zustand des gesamten Körpers zu erfassen. Unser Körper stimmt alle notwendigen Funktionen in ständiger Regulation aufeinander ab (biokybernetischer Regelkreis) wie z.B. den Blutdruck, die Atemtiefe, Verdauung, Muskelbewegungen etc. Dieses System ist sehr anpassungsfähig (Adaptation) und kann Veränderungen, wie z.B. ein kürzeres Bein, einen Fehlbiss oder eine Sehschwäche lange Zeit schmerzfrei ausgleichen (Kompensation). Ist jedoch irgendwann die Ausgleichsfähigkeit erschöpft, („das Fass also voll“) genügt schon ein kleiner Stress (psychisch oder physisch), um unverhältnismäßig starke Reaktionen auszulösen. So kann z.B. ein Luftzug oder Zähneknierschen – bei bestehendem Fehlbiss – einen Hexenschuss auslösen, die Ursache hierfür jedoch an anderer Stelle liegen. Um die Ursache zu finden und zu therapieren, dient die erfahrene und einfühlsame Hand als einzigem Instrument und die Beobachtungsgabe des Therapeuten, der sich vorwiegend als „Vermittler“ zur Aktivierung der Selbstheilungskräfte sieht. Dies bedeutet, dass die Gewebe um ihre Mittellinie möglichst zu einer dynamischen Balance gelangen. Eine ungehinderte Zirkulation der Flüssigkeiten wird somit möglich, d.h. arteriell, venös, lymphatisch, Liquor cerebrospinalis, etc. Der Körper mit seinen Teilfunktionen kommt durch das Zusammenspiel von vegetativem und zentralem Nervensystem sowie dem neuromuskulären System in ein gutes Gleichgewicht (Homöostase). Ganzheitlich werden hierzu im folgenden aufgeführten Organsysteme behandelt:

Strukturelles System (Muskeln, Faszien und Gelenke)
spezifisch mit seinen somatischen (körperlichen) Dysfunktionen. Die Osteopathie sucht nach der Primärstörung des Organismus bzw. des Bewegungssystems. Diese liegt allzu oft nicht da, wo es akut schmerzt, sondern resultiert aus einer Störung des Gesamtsystems, wie der nachstehende Vergleich (zwischen Wirbelsäule und Schiffsmast) veranschaulicht.

Die Funktionsstörungen der Gelenke werden durch Mobilisation und wenn nötig mit Manipulation, möglichst aber mit „weichen“ Techniken wie den funktionellen Techniken, Muskelenergietechnik, Counterstrain (Tenderpunktbehandlung) sowie der neueren lokalen Faszienbehandlung nach Typaldos behandelt, sodass die Gelenke wieder in Ihrer Mitte zentriert stehen und somit ihr physiologisches Bewegungsausmaß angestrebt wird. Ebenso wird die Wirbelsäulenstatik berücksichtigt:

 

Der Rücken ähnelt einem Schiff

  • Der Mast, also die Wirbelsäule, muss eine feste Verankerung im Deck haben, d.h., das Kreuzbein muss als Verankerung der Wirbelsäule stabil zwischen den Darmbeinen sein.
  • Der Mast (Wirbelsäule) muss zugleich beweglich und fest sein.
  • Die Leinen, d.h. Muskeln und Faszien, entsprechen den ausgleichenden Kräften, die bei Bewegungen für die Wahrung des Gleichgewichts sorgen.
  • Der grosse Quermast, der Schultergürtel, hält durch grosse Muskeln wie den grossen Rückenmuskel (M. latissimus dorsi) und den Trapezmuskel (M.Trapezius) in Frontalebene das, was über ihm ist (Halswirbelsäule und Schädel), stabil und im Gleichgewicht.2

Cranio-Sacrale Therapie

Hier geht es um die Behandlung des Schädels mit Hirnhaut und Hirnnerven, der über den Rückenmarkschlauch (Dura mit Nervenaustritten) mit dem Kreuzbein verbunden ist. (Grundlagenentwicklung durch Still’s Schüler W. G. Sutherland).3

Ausgangspunkte der Diagnose und Therapie ist der kraniosacrale Rhythmus, der wie der Herz- und Atemrhythmus einen eigenständigen Körperrhythmus darstellt. Dieser Rhythmus beeinflusst den Stoffwechsel des Organismus und jeder einzelnen Zelle. Der kraniosacrale Rhythmus lässt die Schädelknochen wie auch den übrigen Körper mit einer Frequenz von 6 bis 14 Mal pro Minute sanft, fast unmerklich bewegen und sorgt somit für eine gute Zirkulation unseres Körpers.

Viscerale Therapie

Hier geht es um die Beweglichkeit der Organe zueinander und um das sie einhüllende und stützende Muskel- und Bindegewebe, deren Blut-und Gefäßsystem sowie Teile des Nervensystems.

Unsere Arbeitshypothese lautet folgendermaßen: Dank seiner serösen Hüllen, der Faszien, der Ligamente und anderer Bindegewebe, die es in den Gesamtorganismus einfügen, ist ein gesundes Organ im physiologischen Zustand beweglich. Es gibt einerseits viszerale (Organ) Bewegung als Antwort auf willkürliche Bewegung oder Zwerchfellbewegung während der Atmung (viszerale Mobilität) und andererseits eine eigenständige Bewegung der Organe (viszerale Motilität z.B. Darmperistaltik). Jede Bewegungseinschränkung, Fixierung oder Verwachsung mit anderen Strukturen ist ein Hinweis auf eine pathologische Veränderung. Hierdurch entstehen Modifikationen in der Bewegung des Organs, die sich tausendfach täglich (durch die Atembewegung) wiederholen und somit zu Veränderungen des Organs führen, sollte eine Kompensation nicht gelingen. Dies könnte zu einer funktionellen Störung – und ggf. in Folge zu strukturellen Störung im Bereich der Faszien oder Wirbelgelenke im Sinne der Blockade führen.

Mit „Fingerspitzengefühl“ wird die Beweglichkeit wieder bestmöglich hergestellt und „viszerale Fixierungen“ gelöst. Durch spezielle Gymnastik oder Trampolintraining kann die Therapie gut unterstützt werden.4

Die Faszienbehandlung

Faszien bilden die Hülle, die unseren Körper modelliert. Sie stellen eine ununterbrochene Gewebseinheit dar, die sich von Kopf bis Fuß, aber auch von außen nach innen erstreckt. Sie umhüllt alle anatomischen Strukturen (z.B. Muskeln, Organe, Nerven, Gefäße), teilt sich viele Male und dringt immer mehr in die Tiefe der Strukturen ein um sie zu stützen.

Kettenartig verwebt stellen sie Verbindungen verschiedener Körperabschnitte her, die eine Störung in einem seiner Abschnitte auf einen anderen Teil zu übertragen vermögen (Anatomische Integrität). Sie bilden das Übertragungssystem für jene Kräfte, welche die Bewegungen des Körpers einleiten und koordinieren. Aufgrund Ihrer Allgegenwart im Körper übernimmt sie wichtige physiologische Funktionen im Bereich des Stoffwechsels und des Abwehrsystems. Die Faszien stehen über die Grundsubstanz mit den Zellen in einem permanenten Dialog und stellen damit die Kommunikation zwischen dem intra- und extrazellulären Milleau sicher. Als eine Art Schutzschild, das bereits vor dem Gesamtsystem eingreifen kann, kann es autonome Entscheidungen treffen. Faszien sind mit einer „zellulären Erinnerung“ ausgestattet („peripheres Gehirn“). Dieses Erbe der embryonalen Entwicklung ist den Faszien in Form ihrer Motilität, ihrer rythmischen Bewegung erhalten geblieben. Als zelluläres Gedächtnis registriert es Stauchungen und korrigiert diese zu einem bestimmten Ausmaß, d.h. solange Kompensation möglich ist. Wird diese Grenze überschritten, sind pathologische oder degenerative Prozesse die Folge.

Unsere Hände erspüren diese Motilität und können auch alte Verletzungen darin aufspüren. Mittels spezifischer osteopathischer Griffe kann die Faszie darin unterstützt werden, Stress aufzulösen und die normale Physiologie (Zirkulation etc.) wieder zu erlangen. (aus Paoletti „Faszien“.)5

Struktur und Funktion beeinflussen einander wechselseitig. Was nicht benutzt wird, verkümmert, die jeweilige Funktion z.B. Muskeltraining formt das Organ entsprechend.

Zusammengefasst könnte man es so betrachten, dass ein Hauptansatzpunkt der osteopathischen Therapie im mehr oder weniger straffen Bindegewebe mit all seinen verschiedenen Ausformungen als Faszie, Knochen, Knorpel, Stützgewebe, Sehne, Muskelhüllen, Verschiebegewebe zwischen Muskeln, Nerven und Organen etc. liegt.

Eine gute schulmedizinische Erklärung der genauen Funktion und Tips für die Pflege des Bindegewebes finden Sie im Buch von Herrn Müller-Wohlfahrt „Mensch, bewege dich“, dtv-Verlag.

„Das Bindegewebe ist das Meer, indem der Fisch ‚Mensch‘ schwimmt“ – so betrachtet es die Osteopathie.

Und zweiter, wesentlicher Schwerpunkt ist die Behandlung des Nervensystems als Steuerzentrale fast aller Vorgänge im Körper.

Anwendungsbeispiele

Kopfschmerz / Migräne, u.U. Tinnitus und Schwindel, orthopädische Probleme der Wirbelsäule und des Beckens auch als Unfallfolge, z.B. Schleudertrauma etc., Gelenkbeschwerden, Ischialgien, ggf. Bandscheibenprobleme, Skoliosen (solange nicht fixiert), Becken-schiefstände und Fehlstellungen, organische Dysfunktionen, Zirkulationsstörungen z.B. der Beine, Kiefergelenksbeschwerden, Stress- und Spannungsbedingte Störungen, Traumata von Gehirn und Rückenmark bzw. Unfälle, Anfangsstadien von Rheuma, manche Darmstörungen, Inkontinenz und prämenstruelle Beschwerden, Beschleunigung der Rehabilitation nach OPs …

Sinnvolle Voraussetzung für die erste osteopathische Behandlung ist die ärztliche Verordnung – ggf. auf einem Privatrezept. Dieses dient nicht der Abrechenbarkeit, sondern stellt sicher, dass alle notwendige medizinische Diagnostik berücksichtigt wurde und somit die Kooperation mit Ihrem behandelnden Arzt.

 

  1. Grundlagen der Manuellen Therapie. Heiko Dahl, Achim Rössler. Thieme 1999.S.12
  2. Lehrbuch der Viszeralen Osteopathie.J.P. Barral, P. Mercier. Urban&Fischer 2002
  3. Kraniosakrale Osteopathie. T.Liem.Hippokrates Verlag 1998
  4. Viszerale Automobilisation. MarcoBrazzo.Urban&Fischer 2004
  5. Faszien.Serge Paoletti. Urban&Fischer 2001V